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BERLIN

Nouchka Wolf
Rast! Gast sein, nochmal.

Eröffnung: 22.3.25, 16 – 21 Uhr

Die Menschheit ist aus dem Garten Eden, dem einzig vollkommenen Ort, vertrieben, an einen Ort außerhalb, an dem das Leben hart und karg und der Tod eine Realität ist. Gott, so heißt es, verwehrt mit dem Sündenfall den Menschen auf Ewigkeit den Zugang zum Paradies und stellte zu diesem Zweck vor seinen Toren die Cherubim auf – Engel, die nicht loben, nicht fliegen, nicht sprechen. Innerhalb der biblischen Erzählung tauchen sie hier erstmals auf, als Gestalten zweier Welten, zwischen Gott und den Menschen, gehüllt in Ambivalenz und Unklarheit. Es ist nicht erwähnt, woher die Engel kommen, was sie denken, was sie sehen, wenn sie auf die Welt blicken. Nouchka Wolfs Malereien zeigen nicht das Paradies. Vielmehr verorten sie sich in karger, endzeitlicher Landschaft umgeben von dräuender Vorahnung. Die Figuren, die sie bewohnen, sind vielfach klein, krumm und verloren, sie sind mutiert und werden höchstens mit verächtlicher Hoffnung betrachtet. Mit einem Blick, der, gleich den Engeln, nicht befähigt ist, einzugreifen, zu retten oder zu schützen – die Engel überbringen allein die Botschaften, sie sind die Botschaft selbst, umringt von einer Aura des Passiven und Unbeteiligten.

Und brockt ein
Blut auf Papier · 20 x 28 cm · 2024

Die Arbeit This will all be yours one Day (2025) zeigt so beispielsweise einen Ausblick auf eine in Orangetönen glühende Landschaft der Groteske. Umgeben von glimmenden Nestern sind am Horizont nur noch schemenhafte Bäume und die Überreste einer einfachen Behausung zu erkennen. Vorder- und Hintergrund oszillieren, ohne malerisch einer klaren Perspektive zu gehorchen. Himmel und Wolkenformationen sind mit einem hügeligen Erdengrund in simultaner Spiegelung verwoben, während im Vordergrund der Malerei in Rückenansicht die Oberkörper einer menschlichen Figur sowie eines Hundes einen Blick ins Bild hinein betonen. In Persiflage eines romantischen Topos schweift ihr Blick über der Szenerie einer sich insbesondere auch in Bezugnahme des Titels am Abgrund bewegenden, gar an ihm suhlenden Gesellschaft. Nach Donna Haraway sind Mensch und Tier hier eins in ihrem Schicksal, und es ist nicht klar, wer wem diese Welt vererben wird, wer sie überdauern wird. Wem die Engel zugeteilt, welche Botschaft sie überbringen werden – denn auch die Weißen in Polyesterkleider rauschenden sind niemals Garant dem göttlichen Plan zu entkommen.

nach dem Bad sein
Eitempera auf Leinwand · 60 x 73 cm · 2025

Mit dem kleinformatigen Triptychon Must the Devil have all the good Tunes (2025) verweist Wolf auf eine Willkür von Gut und Böse und gleichzeitig lassen sich hier auch Aspekte ihres Umgangs mit dem Malmaterial selbst erkennen: In Hinwendung alchemistischer Prozesse verwendet Wolf fast ausschließlich organische und tradierte Farben und Bindemittel wie etwa Eitempera und Öl, sowie auch den aus Flechten gewonnenen Farbstoff Lackmus. Als wässrige Lösung und je nachdem, ob er in Verbindung mit basischen oder sauren Substanzen gerät, verfärbt sich das zunächst violette Lackmus blau oder rosa. Während im mittleren Bildteil zwei Augäpfelpaare in Comic-Ironie mit ihrem Blick in ein aufgeschlagenes Buch stürzen, setzen sich ihre Skelettmuskel im rechten und linken Bildteil fort und durchkreuzen hier die leeren Augenhöhlen zweier Engel. Auf rohem, echten Leinen, nur mit Hasenleim und in diesem Fall auch Lackmus getränkt, ist der eine Engel, gemalt mit Zitronensäure, rosaverfärbt, ein zweiter auf der linken Seite mit Haushaltsoda blauverfärbt. Hier gezielt eingesetzt, passieren solche Prozesse teils auch zufällig oder weniger kalkuliert, und das Lackmus wird nach dem Prinzip „Engel links, Teufel rechts“ zu einer Art Indikator und Verkündigungsmetapher.

This Will All Be Yours One Day
Eitempera und Blut auf Leinwand · 49 x 60 cm · 2025

Als Künstlerin im Atelier ist Nouchka Wolfs Tun dem der Engel in dieser Hinsicht nicht unähnlich. Auch ihr Auftrag liegt nicht darin, eine Moral zu postulieren, etwas zu entlarven und aufzudecken. In der Tradition von Bibelillustrationen, von Comics oder auch Memes wird im Zusammenspiel von Schrift und Bild (neben den Titeln beispielsweise auch unmittelbar als Sprechblasen ins Bild gesetzt) vielmehr ein Wiedererkennen des Grauens, des Horrors, des permanenten menschlichen Scheiterns und Irrens überbracht. In Wolfs neuesten Arbeiten übernehmen Spiegelungen von Landschaften, Spiegelungen von Blickpunkten und Motiven, aber insbesondere auch Spiegelungen im Kontext von Wasser und anderen Flüssigkeiten, wie etwa Limonade, weitere Momente des Transzendenten und werden zum Verweis hoffnungsvollerer Zeiten. An der Schwelle zu Europas Moderne verfasste Charles Fourier in den 1830er Jahren eine Reihe utopischer Schriften als Vorschlag für ein Eden der Zukunft, ein Paradies auf Erden, mit Limonadenmeer.

Detail
Die Pissende Tod (free bleeding)
Blood on paper · 21 x 29,7 cm · 2024

Mit der Arbeit Infinity Pool (2025) nimmt Wolf direkten Bezug auf Fourier und seine utopischen, durch Lust und Glück bestimmten Theorien. Im Hintergrund der großformatigen Malerei schwebt etwas verschoben eine von Fouriers sogenannten Phalanstèren, die als Austragungs- und Wohnort der von ihm neu erdachten Gesellschaftsordnung dienen sollten. Rechts und links davor, eingefasst durch zwei schwebende Engel in nicht ganz gerader, nicht ganz krummer Haltung in weißen Gewändern und mit hoffnungsvoll gefalteten Händen. Zu ihren Köpfen türmen sich in Lackmusreaktionen rosa, bläulich, an einen Atompilz erinnernde Wolkenformationen, die sich gleichsam in einer darunterliegenden Wasserfläche spiegeln. In relativ deutlicher Abgrenzung, als wäre man mit einer Kamera nur halb unter Wasser getaucht, werden in einer Unterwelt urzeitliche Kreaturen preisgegeben, die im Kontrast zu Fouriers Phantasmen einen deutlich robusteren, die Zeiten überdauernden Eindruck erwecken. Ein Oben und Unten, im stillen Duell verwoben, und es ist ungewiss, ob Harmonie, ob Chaos oder nur ein Kompromiss siegen können. Es scheint, als würden die Engel in der Schwebe hängen und dennoch die Hoffnung überbringen, dass zumindest ein Wunsch nach Rast! nach Gast sein, nochmal nicht völlig aussichtslos ist, dass die Untergangssuppe eingebrockt nochmal ausgelöffelt werden kann.

Vielleicht geht es den Engeln aber auch nur um ihr eigenes Schicksal, denn auch sie sind zu Gast im Irdischen, dazu bestimmt und verdammt, im Pendeltraum zwischen Seeluft und Stadtluft, zwischen Oben und Unten zu verharren, denn mit den Menschen sind auch die Engel aus dem Paradies geflogen, nie ganz dort, nie ganz hier und haben darin doch überhaupt nur ihre Bestimmung erlangt.

Detail
Avengers
Tusche auf Büttenpapier · 21 x 29,7 cm · 2024


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